The Final Experiment
(1995)

Hinter Ayreon steht der holländischer Ex-Vengeance Musiker Arjen Anthony Lucassen, der sich bei seinem Solodebut einer Vielzahl von Gastmusikern bedient. Darunter alleine 13 Sänger und 7 Instrumentalisten.

"The Final Experiment" ist eine Rockoper, so der eigene Titel, geboten wird progressiver Bombastsound, der es in sich hat. Es gibt mittelalterliche Einflüsse, rockige und Heavy Metal Parts, jazzig angehauchte Stellen und sogar eine sehr kurze Death-Metal Passage. Die Story handelt vom blinden Ayreon, der im England zu Zeiten König Artus' lebt. Die letzten Überlebenden der Menschheit in der Zukunft haben telepathische Botschaften zurück in die Vergangenheit geschickt, um das Desaster zu vermeiden. Der blinde Ayreon empfängt diese Visionen, die ihn sehr verwirren. Die Dorfbewohner ebenfalls, denn sie verbannen ihn. Ayreon zieht an König Artus' Hof, doch seine Prophezeiungen bringen ihm dort die Feindschaft von Zauberer Merlin ein, der in Ayreon einen Konkurrenten sieht und ihn beseitigt.

Kurz darauf erhält jedoch Merlin selbst eine Vision und erkennt, daß Ayreon die Wahrheit sprach. Der Zauberer sorgt dafür, daß die Botschaft Ayreons im 20. Jahrhundert erneut gehört werden wird...

Soweit in aller Kürze die spannende Story. Die Musik dazu ist, wie schon erwähnt, Bombast in Reinkultur. Mal spacige, dann wiederum orchestrale und auch rockige Keyboardsounds, ein kräftiger Baß und dazu eine melodische Leadgitarre sind das Grundgerüst der Lieder. Der Gesang wechselt praktisch von Lied zu Lied. Im Hintergrund dazu oft ein Chor, unterlegt von den wuchtigen orchestralen Keyboards.

Im ersten Teil hat die Musik dabei noch stellenweise mittelalterliche Strukturen (Fanfaren z.B.), der zweite Akt gerät etwas stiller und erinnert mehr an Barockmusik manchmal, wenn ein Cembalo z.B. spielt. Der dritte Teil ist sehr spacig geraten, es werden die Visionen Ayreons geschildert (die nicht sehr schön sind...) und der vierte Akt kommt dann wieder mittelalterlicher und monumental bombastisch daher.

Bei allem Bombast aber dominieren vor allem immer auch die wunderschönen Melodien, die dem Bombast erst den richtigen Rahmen verleihen.

"The Final Experiment" ist dabei für mich die perfekte Space-Oper. Jedes einzelne Lied ist ein Highlight und die dynamisch kraftvolle Umsetzung läßt einen mit Ehrfurcht zuhören, wobei aber auch leisere und besinnliche Momente durchaus vorhanden sind.

"The Final Experiment" erinnert mich dabei in allerbester Weise an die Monumentalstreifen Hollywoods aus den 50er Jahren. Die Geschichte wird sozusagen im musikalischen Cinemascope-Äquivalent erzählt.

Ein einzelnes Lied hervorzuheben fällt schwer, da sie alle schlicht sehr gelungen sind.

Wer vielseitigen Bombast mit langen Keyboard- und Gitarrensoli mag, wird Ayreon lieben. Andere mögen es vielleicht zu dramatisch oder schwülstig finden. Aber auch wer skeptisch ist, sollte Ayreon mal antesten. Ich finde das Album einfach mitreißend und in seiner Machart perfekt.


Nachtrag 2005: Zehn Jahre sind nun schon wieder vergangen, seit "The Final Experiment" das Licht der Welt erblickte. Die Originalmasterbänder sind zwar leider verschollen, das hat aber Arjen Lucassen nicht davon abgehalten, passend zum Jubiläum das Album neu aufzulegen. Statt eines Remixes (was ohne Masterbänder schlecht möglich ist) oder einer Neuaufnahme, wie sie "Actual Fantasy" erfahren hat, beschenkt Lucassen seine Fans mit einer Bonusdisc, die neun Lieder in Unpluggedvarianten und neuen Sängern präsentiert. Die Akustikversionen klingen mal nach Jethro Tull zu "Songs From The Woods" Zeiten, mal glaubt man sich in die mittelalterlichen Folklorewelten von Blackmore's Night zurückversetzt. Die akustischen Neuaufnahmen klingen rundum gut und gewinnen dem bombastischen Material seine filigranen und subtilen Seiten ab.

Amüsant sind dann einige Auszüge aus Ablehnungsschreiben im Inlay, die Lucassen damals bekam, als er versuchte, sein Projekt einem Label schmackhaft zu machen. Diese Probleme hat Ayreon heute zum Glück nicht mehr. "The Final Experiment" hat jedenfalls auch zehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nichts von seinem Charme und Zauber verloren. Und nachdem das Album einige Zeit vergriffen war bekommen Fans und neu hinzugestoßene jetzt endlich wieder die Gelegenheit, das Debutalbum zu erwerben. Wer es noch nicht kennt sollte unbedingt zugreifen. "The Final Experiment" läutete das Revival der Rockopern ein und ist ein moderner Klassiker.

15 Punkte