A Curious Feeling
(1979)
Tony Banks muß
sich sicherlich manchmal etwas seltsam vorkommen. Phil Collins
war in den 80ern einer der größten Popstars, er hat
in neueren Tagen einen Soundtrack für Disney gemacht und
bekam sogar einst zwei Grammys für "No Jacket Required" (Produktion
und Gesang (!!) - etwas, was Genesis
nie gelang). Peter Gabriel war mehr das künstlerische Gegengewicht
zu Collins, er verlegte sich auf extrem erfolgreichen aber durchaus
anspruchsvollen Pop und verkaufte ebenfalls Millionen von Alben.
Mike Rutherford hingegen versuchte es einfach nur mit wohlklingendem
simplen Pop und war damit ebenfalls über Maßen erfolgreich
und produzierte ein, zwei Ohrwürmer, die man immer wieder
gerne hört. Steve
Hackett ist von allen Genesismitgliedern einem progressiven
Ansatz am ehesten treu geblieben und wenn er auch nicht zu den
großen Topsellern zählt, kennt und mag man viele seiner
Alben.
Doch wer ist Tony Banks? Er war (oder ist? - vielleicht gibt es
ja doch irgendwann ein neues Album) unbestritten die kreative
Hauptkraft bei Genesis,
sozusagen einer der Eckpfeiler des Genesis-Sounds. Was auch seine
Bandkollegen einhellig bestätigen.
Doch während seine Bandkollegen allesamt erfolgreiche Solopfade
beschreiten, blieben Banks' Werke wie Blei im Regal liegen. Wahrscheinlich
wissen die meisten gelegentlichen Progrock-Hörer gar nicht,
daß Banks überhaupt Soloalben hatte.
Tony Banks frustierte das so sehr, daß er mittlerweile gar
keine Soloalben mehr veröffentlicht. Einen letzten Versuch
gab es in den 90ern mit "Strictly
Inc." wo Banks unter Pseudonym auftreten wollte. Nur daß
die Plattenfirma nichts schnelleres tat, als einen Sticker auf
das Album zu kleben, wo sein Name auftaucht. Das Album floppte
natürlich auch, obschon es durchaus lohnenswertes bietet.
Daß Tony Banks' Soloalben (es gibt durchaus einige) dermaßen
erfolglos sind, liegt hauptsächlich daran, daß er stets
versucht hat, massenkompatible Popmusik zu schreiben. Er hatte
mit Nik Kershaw oder Fish sehr illustre Gastsänger, mal versuchte
sich Banks auch selbst als Sänger. Am Ergebnis änderte
das nie etwas: seine Popmusik war meist farblos und langweilig
und extrem erfolglos. Ein Teil des Niedergangs von Genesis mag
auch darin begründet liegen, daß Tony Banks wohl auf
Gedeih und Verderb erfolgreiche Popsongs schreiben wollte.
In Kooperation mit Collins und Rutherford war ihm das in den 80ern
durchaus gelungen. Doch auf sich allein gestellt gelang ihm das
nie.
Nach dieser langen Vorrede mag es seltsam anmuten, daß es
1979 durchaus vielversprechend für Tony Banks' Solokarriere
anfing. Der Sinn dieser Einleitung: wer vielleicht Tony Banks
aus den 80er Jahren kennt oder mal etwas von Bekannten und Freunden
über seine Alben gehört hat und der Meinung ist, nicht
mal mit Handschuhen ein weiteres Banks-Album anzufassen, sollte
zumindest eine Ausnahme machen.
Nach "...and then there were three" und den akuten Ehe- und Alkoholproblemen
von Phil Collins einigte sich Genesis auf ein freies Jahr. Collins
wollte sein Leben und seine Ehe in den Griff kriegen (und sammelte
dabei erste Ideen für sein Debutalbum), während Mike
Rutherford und Tony Banks ihre ersten Soloalben produzierten.
"A Curious Feeling" ist ein Konzeptalbum mit einer recht seltsam
anmutenden Geschichte... etwas, das man im Proggenre kennt und
liebt und es sollte durchaus aufhorchen lassen.
Banks erzählt auf seinem Album die Geschichte eines Mannes,
der einst als Kind eine Wette mit dem Teufel einging und schwor,
sich niemals in eine Frau zu verlieben. Als der Mann sich Jahre
später dann schließlich doch verliebt (und die Wette
mit dem Teufel vergessen hat) fordert die Wette ihren furchtbaren
Tribut...
"A Curious Feeling" klingt zwar nicht so wie die alten Genesis
klangen, Banks vermischt die Sounds von "Wind And Wuthering" und
"...and then there were three" und läßt viel von "Duke"
schon vorausahnen, doch Banks setzt das Thema mit sehr viel Gefühl
und Stilsicherheit um. "A Curious Feeling" ist das Album, auf
dem man am besten den Einfluß von Tony Banks auf Genesis
heraushören kann, könnten einige der Stücke doch
ohne aufzufallen auf oben erwähnten Genesisalben auftauchen.
Es gibt mit "From The Undertow" einen sehr schwermütigen
Einstieg auf dem Piano in das Album, es gibt bombastisch angelegte
Instrumentals wie "Forever Morning" und "The Waters Of Lethe",
mit "You" gibt es einen herausragenden Song, der zuerst recht
getragen beginnt um dann plötzlich in der Mitte des Liedes
zu explodieren und in einen mitreißenden Instrumentalteil
übergeht, der Tony Banks in Höchstform zeigt und auf
jedem Genesis-Album begeistert hätte.
Daneben gibt es auch sehr eingängige, durchaus dem Pop zuzurechnende
Songs wie "Lucky Me", das einen sehr cleveren Text hat und wirklich
gut klingt.
Tony Banks zeigt auf dem Album, daß er Pop gekonnt mit Progrock
verbinden kann. Seine Popeinflüsse sind hier bar jeder Banalität
und seine Progwerke zeigen, welch herausragenden Progrock er auch
damals imstande war, zu schreiben.
Warum diese Progeinflüsse dann immer mehr schwanden ist eigentlich
nur mit dem Zeitgeist zu erklären. Hätte Tony Banks
die Linie seines erste Soloalbums fortgesetzt hätte er gewiß
einen Status wie heutzutage Steve Hackett erreichen können.
Ich kann "A Curious Feeling" jedem Fan von Genesis und jedem Fan
von keyboarddominierten Konzeptalben der etwas schwermütigen
Sorte nur empfehlen.
Tony Banks ließ sich auf seinem Debut von Kim Beacon am
Gesang (Banks singt nicht selbst) und dem damaligen Liveschlagzeuger
von Genesis, Chester Thompson, unterstützen. Banks spielt
ansonsten alle Instrumente selbst. Also auch die Saiteninstrumente.
Aber die spielen eh nur eine untergeordnete Rolle im charakteristischen
Pianosound von Banks. Auch die Keyboards sind übrigens geschmackvoll
ausgesucht. Es gibt keinerlei Plastikklänge wie in den späten
80ern.
Das Album atmet noch den Geist der 70er und ist der etwas wehmütige
Beweis, daß Tony Banks zweifellos ein begabter Komponist
ist.
Er hätte halt danach nicht versuchen sollen, mehr Alben als
Phil Collins zu verkaufen. Tony Banks ist jemand, der für
komplexe Musik geschaffen ist. "A Curious Feeling" ist der überzeugende
Beweis.
11 Punkte
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