The Inconsolable Secret
(2005 - Babb, Bogdanowicz, Menians, Moore, Schendel)
Es war einmal… eine holde Dame, eingeschlossen in einem Turm auf einer Insel, dazu verflucht, die Welt außerhalb des Turmes nur in einem Spiegel betrachten zu können. Da ritt eines Tages der Ritter Lancelot am Turm vorbei, die Dame erhaschte einen Blick auf ihn in ihrem Spiegel und verliebte sich sofort, sie wandte sich ab, um aus dem Fenster zu schauen, doch oh weh, der Fluch zeigte seine Wirkung, der Spiegel zerbrach. Die Dame verließ den Turm, setze sich in ein Boot, trieb flußabwärts, hin zum Ritter Lancelot und starb…
So weit in aller Kürze die Geschichte von der "Lady of Shalott", das Alfred Lord Tennyson zuerst 1832 als Gedicht zu Papier brachte. In der Folgezeit diente das Gedicht als Inspirationsquelle für etliche präraphaelitische Maler im 19. Jahrhundert… und im 21. Jahrhundert entschied sich Steve Babb, seines Zeichens eine Hälfte des kreativen Kerns von Glass Hammer, ausgehend von Tennysons Gedicht, seine eigene Fassung der Geschichte als Gedicht niederzuschreiben. Heraus kam das epische Poem "The Lay of Lirazel".
Als Fred Schendel und sein kreativer Partner Steve Babb auf Themensuche für ein neues Konzeptalbum waren, entschied man sich dafür, Babbs Gedicht zu vertonen, eine Geschichte von Königen, Rittern, einer Prinzessin, die von einem Fluch belegt wird, und Liebe… ja es, gibt ein Happy End bei Steve Babb.
Auftritt "The Inconsolable Secret" - Glass Hammers Magnum Opus. Man hat keine Mühen gescheut, Roger Dean hat das Cover gemalt, man holte sich ein Orchester und einen Chor hinzu, das Resultat ist ein Doppelalbum das auf zwei CDs aus verschiedenen Blickwinkeln die Geschichte der Prinzessin Lirazel erzählt. Glass Hammer schwelgen dabei im Bombast, bedienen sich ungeniert bei ELP, Yes und Genesis, und frönen unverhohlen dem Retroprog. So gibt es natürlich ausufernde Hammondsolos, unterstützt von Mellotron und Moog, die auf keinem Retroprogalbum fehlen dürfen. Somit ist klar, daß Glass Hammers "The Inconsolable Secret" nichts für Zyniker ist, diese werden höhnisch die Mundwinkel verziehen und allerlei Angriffspunke für Spötteleien finden.
Ja, Glass Hammer sind nicht originell, ja, sie eifern den Vorbildern nach und erschaffen nichts wirklich neues, ja, die epische Geschichte um edle Ritter, böse Ritter und eine verfluchte Prinzessin ist grandioser Fantasykitsch - und doch versprüht "The Inconsolable Secret" einen nahezu unwiderstehlichen Charme. Getreu nach der Devise, besser gut kopiert als schlecht selbst gemacht, gibt es ein Déjà Vu nach dem anderen auf dem Album, und weniger zynische Seelen werden feststellen, daß man "The Inconsolable Secret" einfach mögen muß.
Glass Hammer haben ihr Album zweigeteilt, was sich auch musikalisch niederschlägt. Erzählt die erste CD "The Knights" die Geschichte der rivalisierenden Ritter, widmet sich die "The Lady" titulierte CD der selben Geschichte aus dem Blickwinkel der verfluchten Prinzessin. Dementsprechend zweigeteilt zeigt sich auch die Musik.
Gibt es auf "The Knight" zwei überlange Progepen mit über 15 und 24 Minuten, die alle Yes, ELP und Genesisnostalgiker bedienen und mit Inbrunst in die Tasten hauen, umrahmen bei "The Lady" lediglich zwei jeweils über 10 Minuten lange Progstücke einen 34minütigen Soundtrack. Hier geht es sehr viel romantischer, folkloristischer und orchestraler als auf dem Rest des Albums zu Werke. Anstelle von Walter Moore singt hier haupsächlich Suzie Bogdanowicz, die auf dem Album die Rolle der Lirazel übernimmt. Man fühlt sich während der knapp über 30 Minuten wie im Film, was vor allem von der Tatsache untersützt wird, daß es innerhalb des Parts einige instrumentale Stücke für Orchester gibt, die genausogut auch den Herrn der Ringe untermalen könnten. So verwundert es nicht, wenn man erfährt, daß als Inspirationsquelle für Steve Babb Howard Shores Soundtrack zum Herrn der Ringe diente. Da paßt es auch, daß auf dem orchestralen "The High Place" die Chöre in Elbisch singen!
Ob man sich mit dieser 34minütigen Expedition in soundtrackhafte Folkgefilde anfreunden kann, muß jeder selbst entscheiden. Die orchestralen Stücke erzeugen jedenfalls eine sehr intensive, filmreife Stimmung und die eingesetzen Chöre liefern ebenfalls exzellente Arbeit ab. Diese Filmstimmung wird immer wieder von mittelalterlich klingenden höfischen Weisen, wunderschön besungen von Suzie Bogdanowicz, aufgelockert - Romantiker werden den Klängen nicht widerstehen können. Den Ausklang des Albums bildet dann aber wieder ein lupenreines 13minütiges Progepos, das nochmals die Leitmotive der zweiten CD aufgreift und alles zum wohlverdienten Happy End bringt.
Wer angesichts der Soundtrackpassage stutzig wird, sollte dennoch "The Inconsolable Secret" eine Chance geben. Die erste CD bietet mit ihren zwei Epen Retroprog in Reinkultur und was The Tangent dürfen, können Glass Hammer schon lange. "The Inconsolable Secret" ist das richtige Album für Nostalgiker, für Retroprogfans, für Anhänger von ELP, Yes und Genesis, denen es nichts ausmacht, wenn sich Bands aus dem frühen 21. Jahrhundert ohne falsche Hemmungen mit vollen Händen aus dem 70er Jahre Fundus bedienen und mit breitem Pinsel übergroße Cinemascopeleinwände bemalen. Glass Hammer schwelgen in Melodien, sie geben sich ausgiebigen Hammondsolos hin, die Tastenarbeit ist, wie immer, wirklich exzellent, das Orchester und die Chöre verleihen der Musik zusätzlichen Bombast und es wird praktisch kein Progklischee ausgelassen.
Wer eben diese Progklischees nicht mag, sollte einen weiten Bogen um "The Inconsolable Secret" machen, wer sich hingegen mit einer romantischen Fantasygeschichte als Konzept für ein opulentes Doppelalbum anfreunden kann, das zwischendrin einen etwas längeren Abstecher Richtung Filmmusik mit einer Prise mittelalterlicher Romantik macht, wird "The Inconsolable Secret" lieben. Glass Hammer haben viel riskiert mit ihrem Album, keine Mühen gescheut - und belohnen ihre Fans mit einem echten Leckerbissen, und diejenigen, die Glass Hammer schon immer belächelt haben, bekommen auch mit "The Inconsolable Secret" reichlich Gelegenheit ihre Überlegenheit zu beweisen. Damit sollten alle glücklich sein. Für mich jedenfalls zählt "The Inconsolable Secret" zu den Höhepunkten des Jahres 2005.
14 Punkte
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