The Wall
(1979 - Gilmour, Mason, Waters, Wright)
Nach dem etwas
verunglückten "Animals"-Album haben Pink Floyd mit "The Wall"
sicherlich den Meilenstein ihrer Karriere errichtet.
Doch halt... eigentlich hat Roger Waters seinen Meilenstein errichtet.
"The Wall" war Roger Waters' Projekt, an dem die anderen Musiker
von Pink Floyd allenfalls als Statisten beteiligt waren. Zwar
hat David Gilmour noch an ein paar Tracks mitgeschrieben, darunter
an so einem Klassiker wie "Comfortably Numb", aber das kann nicht
darüber hinwegtäuschen, daß das gesamte Konzept
und beinahe die komplette Musik von Roger Waters ersonnen wurden.
Die Band hatte damals lediglich die Wahl zwischen zwei Konzepten,
die Waters präsentierte. Die nicht gewählte Idee verarbeitete
er in den 80ern zu seinem ersten Soloalbum "The Pros And Cons
Of Hitchhiking".
Die Querelen in der Band erreichten mit "The Wall" einen traurigen
Höhepunkt. Zum einen fühlten sich die anderen Bandmitglieder
von Waters' Alleinanspruch in die Ecke gedrängt und zum anderen
war Waters seinerseits derart unzufrieden mit Rick Wright, der
damals auch Drogenprobleme hatte, daß er ihn kurzerhand
aus der Band warf. Deshalb wurden viele Keyboardparts auf dem
Album nicht mehr von Wright eingespielt.
Auf der pompösen und verlustreichen "The Wall"-Tournee wurde
Wright als Sessionspieler engagiert - und machte deshalb als einziger
der Band (auch wenn er offiziell nicht mehr dazugehörte)
tatsächlich Gewinn mit der Tour.
Ich muß sagen, daß ich teilweise Probleme mit "The
Wall" habe. Zwar ist mit "Another Brick In The Wall" vielleicht
der Klassiker der Band schlechthin dabei, der damals als Hymne
für eine ganze Generation von Schülern diente - und
nicht zuletzt für die Unterdrückten in Südafrika,
wo das Lied einfach verboten wurde - aber sowohl die Geschichte,
die erzählt wird, als auch so manches Stück auf dem
Album können mich nicht wirklich begeistern.
Roger Waters' Erzählung vom zugedröhnten und von der
Welt entrückten Rockstar Pink, der sich im Wahn Allmachtsphantasien
hingibt, seine Schulzeit mit Horror rekapituliert, einen Mutterkomplex
hat, seinem im Krieg gefallenen Vater nie wirklich kennengelernt
hat, eine gescheiterte Ehe bewältigen muß und sich
dann schließlich seinem inneren Gericht stellt, kommt mir
manchmal voller Selbstmitleid erzählt vor. Und erstaunlich:
obwohl "The Wall" auch Kritik am bombastischen Stadionrock sein
sollte, führte gerade dieses Album zu wahnwitzig bombastischen
und teuren Konzerten.
Doch abgesehen von der textlichen Thematik ist auch die Musik
auf "The Wall" von sehr schwankender Qualität. Nun ist das
Ganze natürlich ein Konzeptalbum und man darf den Gesamtblick
nicht verlieren, aber dennoch sind manche Lieder langweilig bis
peinlich geraten. Songs wie "Mother" oder auch "Don't Leave Me
Now" zählen für mich z.B.dazu.
Daneben gibt es aber auch wirklich großartige Momente wie
"Another Brick In The Wall", "Hey You", "Comfortably Numb" - insgesamt
gibt es deutlich mehr gute musikalische Momente als schlechte.
Aber die musikalische Schönheit früherer Alben wird
meiner Meinung nach nicht erreicht. Auf sich gestellt kann leider
kaum ein Lied wirklich überzeugen, die Wirkung entfaltet
sich erst im Kontext. Die Wirkung des Albums als Ganzes ist hingegen
sehr intensiv. "The Wall" ist mit seiner Paranoia und Einsamkeit
sehr erdrückend. Man kann sich dem Werk als solches kaum
entziehen.
Nun ist "The Wall" aber auch weit mehr als nur ein Stück
Musik, es ist mittlerweile ein Stück Geschichte, das meistverkaufte
Doppelalbum aller Zeiten auch - aber aus der Distanz betrachtet,
unbeachtet der historischen Umstände, ein ambivalentes Album.
Roger Waters lebt auf dem Album anscheinend seine eigenen Psychosen
aus, läßt die Welt daran teilhaben, wobei das Werk
phasenweise sehr bemüht klingt.
Der Sound der letzten drei Alben hat sich auf "The Wall" drastisch
geändert. Vorbei sind die großflächigen, manchmal
pastoralen Sounds - lediglich "Comfortably Numb" bietet auch ein
schönes Solo von David Gilmour - statt dessen gibt es kurze
und kompakte Lieder, die meist von Waters besungen werden, wobei
er definitiv kein guter Sänger ist. Aber sein Stil paßt
hier durchaus zur Geschichte.
Was bleibt übrig? Wenn man das Drumherum wegläßt
ist "The Wall" ein überaus ambitioniertes und intensives
Album, das allerdings eine für mich nicht übermäßig
interessante Geschichte erzählt und musikalisch nicht immer
überzeugen kann. Es lebt hauptsächlich von der erzeugten
Wirkung, nicht unbedingt von grandiosen Melodien.
Natürlich ist "The Wall" aber auch ein Album, das man wohl
haben muß - zumindest sollte man es gehört haben. Es
war der letzte große Coup von Pink Floyd unter Führung
von Roger Waters. Ein Kind der damaligen Zeit - niemand würde
heute mehr "We don't need no education" singen. Doch damals war
es eine gezielte Provokation und eine Abrechnung mit dem teilweise
menschenverachtenden Schulsystem, das in England lange Zeit herrschte.
"The Wall" ist also ein Klassiker - aber nicht das definitive
geniale Meisterwerk.
12 Punkte
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