Emotional Creatures: Part One
(2005)
Man soll nie dem ersten Anschein trauen. Zumindest bei "Emotional Creatures Part One". Würde man dem ersten Anschein trauen, so würde einem zuerst das prächtige Cover ins Auge fallen, auf dem man ein Squonk (ja, genau jenes Tier, das von Genesis dereinst in einem Song verewigt wurde) bitterlich weinen sieht. Aha, man hat es also mit einem eher fantasylastigen Album zu tun.
Schaut man dann auf die illustre Gastmusikerschar, die Steve Thorne auf seinem Debutalbum versammelt hat, keine geringeren nämlich als Geoff Downes, Tony Levin, Nick D'Virgilio, Martin Orford, Paul Cook, Gary Chandler und Steve Christey, um die bekanntesten zu nennen, könnte man glauben, hier ein weiteres Progsuperstarprojekt à la The Tangent oder Transatlantic präsentiert zu bekommen, etwas, das in den letzten Jahren sehr in Mode geraten ist.
Doch aller Schein trügt, und "Emotional Creatures Part One" ist weit davon entfernt, die gängigen Progklischees zu bedienen, was eben all jene enttäuschen könnte, die angesichts des Covers und der Beteiligten genau das erwarten, reinrassigen Progressive Rock.
Bei näherer Betrachtung und ersten Durchläufen der CD kommt man nicht umhin festzustellen, daß Steve Thorne eher in die Singer/Songwriter Ecke gehört. Die Musik auf dem Album bewegt sich zwischen Alternative Rock, Folk, etwas Pop und eben auch einer guten Prise Progressive Rock. Ist man also enttäuscht? Nein. Denn Steve Thorne beweist ein gutes Händchen für schöne Melodien und eingängige Lieder, die weitab der Banalität angesiedelt sind. Von Fantasy oder Märchenkreaturen ist auf dem Album weit und breit nichts vorzufinden. Stattdessen nimmt sich Steve Thorne aktueller politischer Themen an, wie bei "God Bless America" zu hören ist, andere Themen sind u.a. die Kokainsucht ("Last Line") oder Selbstmord ("Gone"). Steve Thornes Songtexte sind tief in der Realität verwurzelt.
Mich hat das Album positiv überrascht. Die Mischung aus Folk, Alternative Rock, Pop und Prog funktioniert sehr gut. Die illustren Gastmusiker erdrücken die Musik nicht, sondern verleihen den Songs nur hier und da einen besonderen Anstrich, wie z.B. Geoff Downes schönes Hammondsolo auf "Last Line". Ansonsten bekommt man akustische und elektrische Gitarren, Flöten und auch einige Effekte und Sprachsamples geboten. Steve Thornes Gesang erinnert mich an Steve Hogarth von Marillion, damit sind die Ähnlichkeiten aber auch schon erschöpft. Thorne klingt, trotz diverser Mitstreiter von IQ und Jadis, durch und durch eigenständig, allein das Instrumental "Every Second Counts" läßt einige Erinnerungen an Porcupine Tree wach werden.
"Emotional Creatures Part One" ist auf jeden Fall ein Überraschungsalbum, es dürfte all jenen gefallen, die nach dem ersten Eindruck nicht etwas erwarten, was Steve Thorne nicht bietet - symphonischen Retroprog nämlich. Stattdessen bekommt man eben stilvoll gespielten Alternative Rock mit dezenten Progeinflüssen und einigen Folkelementen geboten. Die Kompositionen sind dabei meist zwischen drei und sechs Minuten lang, die Lieder hätten aufgrund der eingängigen Melodien sogar Radiopotential, so dort nicht nur computergenerierte Listen seelenlos abgespielt würden.
Steve Thorne arbeitet übrigens bereits an Teil 2 seiner Emotional Creatures. Man darf somit gespannt sein, was der Brite auf seinem nächsten Album zeigen wird. Teil 1 macht jedenfalls schon mal Lust auf mehr.
11 Punkte
|